Magazin · Tierschutz aktiv · 25. April 2024 · 5 Min. Lesezeit
Stilles Leiden: Das Schicksal von Millionen Straßenkatzen in Südeuropa
Warum gibt es in Südeuropa so viele Straßenkatzen? Wieso findet ihr Leid kaum Beachtung? Und wie lässt sich der Teufelskreis durchbrechen? Wir blicken auf die Situation in der Türkei, Spanien und Griechenland und klären auf.
Viele Straßenkatzen leiden nicht nur unter Futter- und Wassermangel, sondern sind auch von Krankheiten und Parasiten betroffen. Foto: VETO
Unzählige Straßenkatzen gehören in vielen Regionen in den südlichen Ländern zum Stadtbild. Sie stromern durch die Straßen und Gassen, immer auf der Suche nach etwas Fressbarem. Viele Menschen glauben, dass sie sich selbstständig in städtischen Umgebungen zurechtfinden und übersehen die Not der Katzen. Die Tiere kämpfen mit Verletzungen und Krankheiten, Futter- und Wassermangel.
Gerade im Sommer ist die Futtersuche für die Tiere in Ländern wie Spanien, Griechenland und der Türkei noch kräftezehrender. Die Hitze vertreibt Beutetiere, Wasserquellen können austrocknen und der anhaltende Hunger schwächt ihr Immunsystem zusätzlich. Ohne die Hilfe von Tierschutzvereinen endet dieser Kreislauf für viele Straßenkatzen mit dem Tod.
Oftmals sind die Straßentiere in den Städten und Gemeinden ungern gesehen. Vielerorts gelten sie als Plage, werden vertrieben und manchmal sogar getötet. Dabei wird vergessen: Dass es so viele Straßenkatzen gibt, ist ein menschengemachtes Problem.
Warum gibt es in Südeuropa so viele Straßenkatzen?
Straßenkatzen sind ehemalige Haustiere beziehungsweise deren Nachfahren. Sie wurden ausgesetzt, wenn sich ihre Halter:innen nicht mehr um die Tiere kümmern wollten oder konnten – und das häufig unkastriert. Besonders oft sind dabei Muttertiere mit ihrem Nachwuchs betroffen, der kurzerhand ausgesetzt wird.
„Uns graut vor der Kittensaison…letztes Jahr konnten unsere Kolleginnen kaum vor die Tür gehen, ohne Kitten zu finden…bei so vielen Fundkatzen sind natürlich auch oft ausgesetzte und kranke Tiere dabei.“
Darüber hinaus sind auch Freigängerkatzen in Südeuropa häufig unkastriert. Die Katzen können sich auf der Straße fortlaufend vermehren sowohl mit anderen Freigängerkatzen als auch mit den Straßentieren. Das Ergebnis: Ständig neuer Nachwuchs, der entweder gleich in das leidvolle Leben auf der Straße hineingeboren wird, oder – falls das Muttertier ein Zuhause hat – wenig später ausgesetzt wird.
Dass so viele Katzen trotz Freigang nicht kastriert sind, hat verschiedene Ursachen. Teilweise lehnen Menschen die Kastration zum Beispiel ab, weil sie es für unnatürlich halten. Manche haben nicht die finanziellen Mittel dazu, andere sind nicht ausreichend informiert.
In vielen südlichen Ländern wie Spanien, Griechenland und der Türkei hat sich ein Teufelskreis entwickelt: Katzen werden unkastriert ausgesetzt, durch unkontrollierte Vermehrung von Freigänger- und Straßenkatzen kommt ständig neuer Nachwuchs zur Welt und ununterbrochen wird noch mehr Leid produziert.
Rein rechnerisch können eine unkastrierte Katze und ihre Nachkommen in nur zehn Jahren circa 60 Millionen Katzen zeugen und so die Situation für Straßentiere massiv verschärfen. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen, von jenen, die auch für dieses Leid verantwortlich sind: den Menschen.
Die leidvolle Situation der Straßenkatzen in Südeuropa
Obwohl oft angenommen wird, dass sich die Straßenkatzen zurechtfinden, verbirgt sich in den meisten Fällen hinter der stoischen Fassade ein hungerndes, verletzliches und hilfsbedürftiges Tier. Straßentiere haben mit vielerlei Problemen zu kämpfen, allen voran die stetige Suche nach Futter. In den südlichen Ländern sorgt gerade in den warmen Monaten fehlendes Wasser für zusätzliche Not. Ein gravierendes Problem, das sich durch den Klimawandel noch verstärkt.
„Das größte Problem für die Streuner ist tatsächlich der Wassermangel, der in diesem Jahr bereits im Februar (es hatte kaum geregnet) zu spüren war. Auch sind im letzten Jahr leider mehrere Tiere an Hitzschlag gestorben!“
Für die Tierschutzvereine vor Ort bedeuten deshalb gerade die Sommermonate erschwerte Bedingungen, denn um die Streuner zu versorgen, müssen sie nicht nur Futter, sondern auch Wasser zu den Kolonien beziehungsweise Futterstellen tragen. Die Tierschützer:innen gehen an ihre Belastungsgrenze, denn sie wissen, dass die heimatlosen Katzen ohne ihre Hilfe nicht überleben würden.
Neben Futter- und Wassermangel leiden viele Straßenkatzen unter Krankheiten und Parasiten. Die Hitze in den südlichen Ländern und die unhygienischen Lebensbedingungen begünstigen die Verbreitung von Flöhen und Zecken. Parasiten können Infektionen wie Toxoplasmose oder Katzenschnupfen verursachen, die für Kitten oder immungeschwächte Katzen lebensbedrohlich sein können.
Junge und geschwächte Straßentiere haben es aufgrund der großen Konkurrenz in den Revieren besonders schwer. Foto: VETO
Darüber hinaus bedeuten Mangel und begrenzte Ressourcen auch immer Konkurrenz. Für die Straßenkatzen ist der Alltag unentwegt ein Kampf ums Überleben. Gerade viele Kitten, Jungtiere und schwache Katzen verlieren diesen Kampf oft frühzeitig. Die Sterblichkeitsrate auf den Straßen Südeuropas ist unter Streunerkatzen hoch.
Trotz des offensichtlichen Leids der Straßenkatzen ist der Tierschutzgedanke gerade in den südlichen Ländern kaum verbreitet. Die Straßentiere werden vielerorts als Plage angesehen, oftmals vertrieben oder gar getötet. Die Konsequenzen bekommen auch jene zu spüren, die sich für die Straßenkatzen vor Ort einsetzen und sie versorgen.
„Das Bewusstsein für artgerechte Tierhaltung und Kastrationen ist vor Ort nicht wirklich weit verbreitet, viele Menschen sind sogar gegen das, was die Helfer vor Ort tun, so ist uns 2023 eine ganze kastrierte Kolonie vergiftet worden.“
Dieser Unmut richtet sich häufig nicht nur auf die Straßenkatzen selbst, sondern auch auf jene, die ihnen helfen möchten. So berichten Tierschützer:innen vor Ort von verbalen als auch handgreiflichen Angriffen gerade von Seiten der älteren Bevölkerung.
Ein Kampf gegen Windmühlen: VETO vor Ort bei Tierschützer:innen in Griechenland
Obwohl unser Team im Auftrag des Tierschutzes oft in Europa unterwegs ist, waren wir bei unserer letzten VETO-Reise nach Griechenland in diesem April aufgrund der großen Anzahl an Straßenkatzen tatsächlich schockiert. Beim Anblick der Katzen wird schnell klar, dass es dem Großteil der Tiere nicht gut geht. „Egal wohin man schaut, es sind überall nur Katzen zu sehen – abgemagerte, trächtige, verletzte, kranke und verängstigte. Und vielfach auch deren Revierkämpfe untereinander“, schildert Claudia Lemke vom VETO-Team ihre Eindrücke.
Es wird klar: Trotz gutem Willen und der Intention, allen Tieren zu helfen, befinden sich die Tierschützer:innen vor Ort im Kampf gegen Windmühlen. Allein auf der Insel Thassos versorgen rund 50 Helfer, die dem Verein FOS Thassos angeschlossen sind, hunderte Straßenkatzen mit Futter. Zudem setzen sie sich für die Kastration der Straßenkatzen ein, um so künftiges Leid zu verhindern. Die Tierschützer:innen versuchen alles, um so viele Straßentiere wie möglich zu retten, doch die Not ist groß.
„Es ist ganz furchtbar! In diesem Jahr kommt erschwerend hinzu, dass wir festgestellt haben, dass sehr viele Katzen an Katzenschnupfen leiden. Die ganzen trächtigen Katzen bekommen jetzt ihre Kitten, die sie wiederum infizieren. Ich persönlich nehme das dieses Jahr als viel schlimmer wahr. Wir sind uns gerade noch nicht sicher, wie wir damit umgehen sollen.“
Die Situation in Griechenland zeigt: Das Leid der vielen Straßentiere ist groß und es ist nur mit einem ganzheitlichen Ansatz zu mindern.
Das Leid der Straßenkatzen langfristig beenden: wirksame Lösungswege
Zu der Tatsache, dass die Vorgehensweise, Straßentiere einzufangen, wegzusperren oder gar zu töten, nicht tierschutzkonform ist, kommt die Erkenntnis, dass diese Maßnahmen keinen Erfolg zeigen. Jedes Revier bietet für Straßentiere – ganz gleich, ob Hund oder Katze – eine bestimmte Anzahl an Ressourcen, die den Tieren als Lebensgrundlage dient. Nahrungsangebote, Trinkwasser, aber auch genügend Platz und Rückzugsorte sind hart umkämpft. Die Sterblichkeitsrate von jungen und geschwächten Straßentieren ist deshalb hoch, sodass die Population von Hunden und Katzen automatisch begrenzt wird.
Wenn nun die Anzahl der toten Tiere ansteigt – etwa durch Vergiftungen der Straßenkatzen – werden im Revier Plätze und Ressourcen für andere Katzen frei. Mehr Jungtiere können überleben, Artgenossen aus benachbarten Gebieten siedeln sich an oder ausgesetzte Haustiere besetzen die freigewordenen Plätze. Nach kurzer Zeit ist die Anzahl der Straßentiere genauso hoch wie vor dem Töten der Tiere. Anschließend steigt die Population noch weiter an, weil die Tiere sich untereinander paaren.
Straßenkatzen haben häufig gelernt, dass ihnen einige Menschen nichts Gutes wollen und sind deshalb oft scheu und verstecken sich. Foto: VETO
Das Leid der vielen Straßenkatzen und der Teufelskreis kann nur durch flächendeckende Kastrationen beendet werden. Kastrationen unterbrechen die fortlaufende Vermehrung. Dabei ist jedoch wichtig: Sowohl Straßenkatzen als auch Freigängerkatzen müssen kastriert werden, dementsprechend bedarf es vielerorts auch eines Umdenkens in der Bevölkerung. Verantwortung muss übernommen und die Situation der Straßentiere als ein menschengemachtes Problem erkannt werden.
Auf dieses Ziel arbeiten die Tierschutzvereine in Südeuropa unentwegt hin, sie leisten Aufklärungsarbeit und starten Initiativen. Doch währenddessen gilt es auch das bestehende Leid zu mindern und so vielen Straßenkatzen wie möglich zu helfen – sowohl durch die Versorgung mit Futter und Wasser als auch durch medizinische Behandlungen.
So kannst du den Straßenkatzen in Südeuropa helfen
Die Tierschützer:innen benötigen dabei dringend Unterstützung. Sie versuchen alles, um möglichst viele Tiere zu retten, doch ihre Futtervorräte gehen zur Neige. Ohne Hilfe können sie die Versorgung der Katzen mit Futter und Medikamenten nicht stemmen.
Im Rahmen der Kampagne Futter für die Vergessenen sammelt VETO Futterspenden, um die Tierschützer:innen in Südeuropa bei der Versorgung der Straßentiere zu unterstützen. Durch hochwertiges Futter können die ausgemergelten und geschwächten Tiere wieder zu Kräften kommen. Jede Spende enthält zudem eine Geld-Prämie und unterstützt bei der Finanzierung medizinischer Behandlungen sowie flächendeckenden Kastrationsprogrammen, um so künftiges Leid zu verhindern.