Magazin · Tierschutz aktiv · 3. September 2021 · 2 Min. Lesezeit
Laborbeagle: Wenn ein Versuchstier zum Familienmitglied wird
Beagle gelten als freundlich, aufgeschlossen und extrem anpassungsfähig. Diese rassetypischen Eigenschaften wurden dem Beagle zum Verhängnis. Schon lange werden die treuen Hunde für die Industrie als Versuchstiere eingesetzt. Wie das Leben eines Beagles nach seiner Zeit im Labor aussehen kann, liest du in diesem Interview.
Gezüchtet für Tierversuche: Der ehemalige Laborbeagle Leo hatte Glück und fand ein schönes Zuhause, wo er endlich einfach nur Hund sein durfte. Foto: privat
Ob für die Erprobung von Antibiotika, die Testung von Kosmetika oder die Entwicklung neuer Zahnimplantate – in Deutschland werden nach wie vor Tierversuche durchgeführt. Eine Hunderasse, die sich wegen ihrer positiven Charakterzüge und ihrer körperlichen Robustheit besonders für Versuche im Labor eignet, ist der Beagle.
Laborbeagle werden eigens gezüchtet, um an ihnen Versuche durchzuführen. Manche Hunde werden von den Instituten in Großzuchten gekauft, andere werden direkt im Labor geboren. Nachdem der Beagle seinen Zweck als Versuchstier erfüllt hat, wird er – mit etwas Glück – vermittelt und darf endlich ein artgerechtes Hundeleben führen, das er bis dato nicht kannte.
Wer sich dazu entschließt, einem ehemaligen Laborbeagle ein Zuhause zu geben, muss sich auf einige Besonderheiten bei seinem Vierbeiner einstellen. Im Interview erzählt uns Beagle-Halterin Natascha Fransoo von ihren langjährigen Erfahrungen mit Laborbeaglen und ihrer Liebe zu dieser menschenbezogenen Hunderasse.
Natascha, wie ist deine Familie auf die Idee gekommen, einen Laborbeagle aufzunehmen?
„Wir hatten damals eine Familie im Bekanntenkreis, die einen Beagle hatte. Wir Kinder waren sofort hin und weg und wollten auch unbedingt einen Hund, naja, eigentlich einen Beagle. Wegen der langen, weichen Ohren und natürlich wegen der gemütlichen, etwas trotteligen Art.
Unsere Eltern haben dann sonntags im Jahr 2002 bei ‚Tiere suchen ein Zuhause‘ im WDR den Auftritt des Tierheim Wipperfürth gesehen. Dort wurden damals einige Laborbeagle vorgestellt. Sie haben sich dann heimlich mit dem Tierheim in Verbindung gesetzt und sind als Überraschung mit uns Kindern dorthin gefahren. Als wir merkten, dass wir in einem Tierheim waren und dort Beagle sind, waren wir sofort hin und weg.
Wir durften uns dann dort unseren Leo aussuchen. Wir haben uns sofort verliebt, als er in dem Zwinger auf uns zukam. Über die Herausforderungen, die ein Laborbeagle mitbringt, wurden unsere Eltern schon zuvor vom Tierheim gründlich aufgeklärt. Denn ein Beagle direkt aus dem Labor kennt so gut wie nichts und bedeutet eine große Verantwortung.“
Nach Leo gab es ja noch weitere Beagle, die bei euch leben durften. Erzähl uns doch mal von den Hunden, die ihr bisher aufgenommen habt.
„Leo war von 2002 bis 2014 bei uns. Wir hatten damals einen ehemaligen Bauernhof, auf dem wir zusammen mit meinen Großeltern lebten, und einen riesigen Garten. Außerdem hat uns Leo jedes Wochenende im Wohnwagen und Wohnmobil durch ganz Deutschland begleitet. Als Leo älter und auch ruhiger wurde, haben wir uns dazu entschieden, noch einen zweiten Beagle aus dem Labor zu adoptieren.
Unsere Eltern haben sich dann mit dem Verein Laborbeaglehilfe e. V. in Verbindung gesetzt. Anfang 2009 meldete sich der Verein bei meinen Eltern. Demnächst sollten wieder einige junge Beagle aus einem Labor vermittelt werden. Dann ging eigentlich auch alles recht schnell. Ganz nach dem Motto ‚Beagle ist Beagle‘ entschieden sich unsere Eltern ohne Fotos dazu, einen dieser Beagle zu adoptieren. Dabei überließen sie die Entscheidung, welcher Hund am besten zu unserer Familie und zu Leo passt, dem Verein.
Kurz darauf wurde uns dann Miles, der im Oktober 2008 geboren und anschließend im Labor für Tierversuche eingesetzt wurde, auch schon persönlich vom Verein nach Hause gebracht. Die beiden Hunde waren seitdem wie Pech und Schwefel. Leo spielte wieder ausgelassener und wirkte einfach zufriedener.
Entspannt dösen die ehemaligen Laborbeagle Miles und Leo in ihrem Körbchen. Das Leben im Labor konnten die beiden hinter sich lassen. Foto: privat
Leider ist Leo im Jahr 2014 an Krebs gestorben. Miles hat dann einige Jahre allein mit unseren Eltern verbracht. Wir Kinder waren in der Ausbildung und im Studium und daher wenig zu Hause. Doch irgendwann wurde auch Miles älter und ruhiger. Der Wunsch, ihn wieder genauso aufblühen zu sehen wie Leo, wurde immer größer. Daher haben sich meine Eltern nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, noch einen Beagle zu adoptieren.
Diesmal zog Marla ein. Sie war zwar keine Laborhündin, aber eine süße Beagledame, die aufgrund eines Vorfalls ihre bisherige Familie sofort verlassen musste. Mit ihr erlebte auch Miles seinen zweiten Frühling, bis er Anfang Juli 2020 aufgrund einer Vergiftung verstarb.
Marla trauerte unheimlich, weswegen meine Eltern sofort Kontakt mit dem Verein Laborbeaglehilfe aufnahmen, um erneut einen Zweithund zu adoptieren. Kurze Zeit später konnten meine Eltern Jeremy, jetzt Jerry, von seiner Pflegestelle in Norddeutschland abholen. Jerry ist etwas kleiner als die anderen Beagle, ein sogenannter Marshall-Beagle.* Er ist der schüchternste und ängstlichste Beagle, den wir bisher hatten. Er brauchte sehr lange, bis er sich zurechtfand. Inzwischen tobt er aber ausgelassen mit Marla durch den Garten, liebt Spaziergänge am Strand und – wie alle Beagle – sein Futter.
Bei mir selbst wohnt Hugo, ebenfalls ein Beagle – wie sollte es auch anders sein? Ich bin überzeugt, dass jede Person, die einmal einen Beagle hatte, diese Rasse einfach liebt. Trotz oder gerade wegen ihrer einzigartigen Charaktereigenschaften.“
*Anmerkung: Marshall-Beagle sind eine spezielle Züchtung von den Marshall-Farms in den USA. Sie sind etwa halb so groß wie andere Beagle und werden extra für den Einsatz in Laboren gezüchtet.
Wisst ihr etwas darüber, welche Versuche an den Tieren gemacht wurden?
„Nein, aus Datenschutzgründen dürfen die Vereine weder den Namen des Labors noch die Art der Versuche mitteilen. Bei Leo und Miles wussten wir nur, dass sie aus Norddeutschland kamen, bei Jerry, dass er aus Frankreich stammt. Bevor die Beagle aber in ein neues Zuhause vermittelt werden, wird ein ausführliches Check-Up mit ihnen gemacht und über alle Auffälligkeiten oder Besonderheiten aufgeklärt.“
Wie waren die ersten Tage mit einem ehemaligen Laborbeagle?
„Die ersten Tage mit Leo nach dem Tierheim waren besonders anstrengend. Denn obwohl Leo bereits acht Monate alt war, kannte er so gut wie nichts. Er war wie ein Welpe, der gerade das erste Mal ein Haus bei einer Familie bezieht. Er war nicht stubenrein, hatte Angst vor so ziemlich jedem Geräusch und musste sich erst an die neue Umgebung gewöhnen. Aus dem Labor und aus dem Tierheim kannte er nur Zwinger. Die ersten Tage mussten wir alle zwei Stunden aufstehen und mit dem Hund rausgehen, damit er stubenrein wird. Das klappte dann auch recht schnell.
Bei Miles war es ähnlich wie bei Leo. Er hatte von Anfang an unheimliche Angst vor großen Männern, besonders in dunkler Bekleidung. Lautstark wurde jeder, auf den die Beschreibung passte, von Miles darauf hingewiesen, doch bitte genügend Abstand zu halten. Wer Beagle kennt, weiß, was lautstark bedeutet. Aber auch diese Angst bekamen wir nach und nach mit viel langsamer Annäherung in den Griff.
Und dann kam Jerry. Er hatte zwar schon auf einer Pflegestelle gelebt und war auch stubenrein, ist aber insgesamt sehr ängstlich und eher schüchtern. Bei lauten Geräuschen oder Gewitter war es anfangs besonders schlimm. Bei Regen traute er sich nicht einmal auf den Rasen. Aber meine Eltern arbeiten täglich mit ihm daran, gemeinsam mit ihm verschiedenste Situationen zu meistern. Marla ist dabei für ihn eine große Orientierungshilfe.“
Hündin Marla gibt dem schüchternen Laborbeagle Jerry Selbstvertrauen. Welche Versuche an Jerry durchgeführt wurden, ist unbekannt. Foto: privat
Gab es Ängste oder Eigenschaften, die eure Hunde nie ablegen konnten?
„Generell war die neue Umgebung für alle Beagle eine wirkliche Umstellung. Sie waren fast alle nicht stubenrein, laute Geräusche oder große Männer machten ihnen Angst und forderten viel Zuneigung und Vertrauen. Nach einiger Zeit waren dennoch alle ruhig und entspannt. Eine Angst, die sich bei Leo und Miles aber nie eingestellt hat, war die vor Heißluftballons. Sobald sie das Rauschen des Gases hörten oder einen Heißluftballon am Himmel sahen, wurde lautstark mit aufgestellten Haaren und angespannter Körperhaltung jeglicher ‚Angriff von oben‘ vereitelt.“
Haben Laborbeagle auch körperliche Auffälligkeiten?
„Je nach Versuchsart, die an den Beagle durchgeführt wurde, kann es vorkommen, dass sie körperliche Auffälligkeiten haben, ihnen zum Beispiel die hinteren Backenzähne fehlen.* Das war aber, soweit ich mich erinnere, bei keinem unserer Beagle der Fall.“
*Anmerkung: An Beaglen wird auch im Bereich der Kieferchirurgie getestet. Es wird beispielsweise erprobt, inwieweit Zähne sich als Aufbaumaterial für Kieferknochen eignen. Dazu werden den Beaglen zehn Zähne gezogen und mit einem Metallfräser sechs Löcher in den Kieferknochen gebohrt. Quelle: www.aerzte-gegen-tierversuche.de
Was war bisher die größte Herausforderung bei euren Hunden?
„Die größte Herausforderung ist die Gewöhnung an die neue Situation und das Thema Leinenführigkeit und der Abruf beim Beagle. Der Beagle ist ein Meutehund, der für die Jagd im Rudel gezüchtet wurde. Aufgrund seiner sanftmütigen und robusten Art wird aber besonders diese Rasse gerne für Tierversuche eingesetzt. Aus dem Labor heraus kennen die Beagle wenig bis nichts. Der Jagdtrieb ist genetisch veranlagt und lässt sich daher auch bei einem Laborbeagle nur schwer in den Griff bekommen.
Ich weiß nicht wie viele Male wir Miles und Leo aus dem angrenzenden Waldstück einsammeln mussten, weil sie ein Kaninchen am Gartenzaun entlang hoppeln sahen und sich teilweise 50 Centimeter und mehr unter dem Gartenzaun herausgegraben hatten. Zum Glück hatten wir um unser Haus herum viel Weidefläche und keine Straßen. Denn waren die beiden erst einmal im Jagd-Modus, konnte man sie nur schwer wieder abrufen. Zum Glück haben wir den Jagdtrieb über die Jahre einigermaßen in den Griff bekommen, sodass wir beim Spaziergang mit Schleppleine und sicherem Abruf keine wilde Beagle-Verfolgungsjagd mehr unternehmen mussten.“
„Es ist so traurig, dass viele Tiere wegen ihrer robusten und liebevollen Art für Tierversuche herhalten müssen, die die Menschheit eigentlich gar nicht braucht.“
Was ist deiner Meinung nach der Unterschied zwischen einem Laborbeagle und einem Hund, der nicht für Tierversuche gehalten wurde?
„Generell haben wir immer nach dem Motto ‚Beagle ist Beagle‘ gelebt. Wir hatten sowohl Beagle aus dem Labor, als auch Beagle, die nicht aus dem Labor stammten. Da wir alle Hunde relativ jung bekommen haben, waren diese vom Verhalten und der Entwicklung auf dem Stand von Welpen. Viele von ihnen haben in ihrem Leben noch nie Rasen gespürt oder sind im Regen draußen gewesen. Sie kennen nur das Labor, das Tierheim und im besten Fall ihre Pflegestelle. Die Umgebung, die Geräusche und auch der Umgang mit Menschen, die an ihnen keine Versuche durchführen, ist für sie komplett neu.
Abgesehen vom Unbekannten und neuen Leben außerhalb des Labors kann ich aber keinen großen Unterschied feststellen. Vergleiche ich Leo mit meinem jetzigen Beagle, der nicht aus dem Labor stammt, haben wir in der ersten Zeit genauso viele zerkaute Schuhe, erlegte Kuscheltiere oder explodierte Sofakissen gehabt. Wichtig ist, jedem neuen Familienmitglied, egal ob aus dem Labor oder nicht, viel Zeit und Vertrauen entgegenzubringen und an klaren Regeln und Strukturen zu arbeiten. Denn dankbar für ein Leben in einer liebevollen Familie sind sie alle.“
Was ist das Schöne daran, einen ehemaligen Laborbeagle aufzunehmen?
„Das Schönste daran, einen Laborbeagle aufzunehmen, ist zu wissen, dass an diesem Tier keine unnötigen Versuche mehr durchgeführt werden. Es ist so traurig, dass viele Tiere wegen ihrer robusten und liebevollen Art für Tierversuche herhalten müssen, die die Menschheit eigentlich gar nicht braucht. Man merkt diesen Tieren die Dankbarkeit sofort an.“
Welchen Rat kannst du Menschen geben, die zum ersten Mal einen Beagle aus einem Labor aufnehmen möchten?
„Informiert euch vorher bei einem Verein, der sich auf die Vermittlung von Laborbeaglen spezialisiert hat. Denn der Beagle an sich, ist keine Hunderasse für Anfänger – obwohl er liebevoll und unheimlich niedlich ist. Insbesondere die Adoption eines Beagles aus dem Labor ist mit viel Zeit und Arbeit verbunden, die nicht unterschätzt und gut überdacht werden sollte. Bei einem Gespräch mit dem Verein kann dieser einschätzen, ob das persönliche Umfeld und die aktuelle Lebenssituation zu einem Beagle aus dem Labor passt.
Auf diese jahrelange Expertise des Vereins sollte man dann auch unbedingt Rücksicht nehmen. Zum eigenen, vor allem aber zum Wohl des Hundes. Denn, wenn alles passt, erhaltet ihr vom Verein ein dankbares, treues Familienmitglied, das euch zwar einige Nerven kosten, aber dafür umso mehr Liebe zurückgeben wird.“
Vielen Dank für das Interview, Natascha.
Liebe statt Labor: Beagle Miles konnte in seinem neuen Zuhause endlich glücklich sein. Foto: privat
Checkliste: Worauf müssen sich Halter:innen eines Laborbeagles einstellen?
- Auch erwachsene Beagle sind oft nicht stubenrein. Sie müssen in kurzen Abständen raus und lernen, wo sie ihr Geschäft verrichten dürfen.
- Laborbeagle sind es nicht gewohnt, an der Leine zu laufen. Ein Spaziergang kann mit Angst verbunden sein.
- Die Hunde kennen keine Alltagsgeräusche und -situationen. Sie sind oft schreckhaft und unsicher. An ihrer Seite brauchen sie daher einen geduldigen und souveränen Menschen.
- Anfangs können ehemalige Laborbeagle oft nicht allein zu Hause bleiben. Daran müssen sie mit viel Geduld gewöhnt werden.
- Wie bei jedem Hund ist ein Besuch einer Hundeschule zu empfehlen. Laborbeagle brauchen eine konsequente und liebevolle Erziehung.