Magazin · Tierschutz aktiv · 03. April 2025 · 5 Min. Lesezeit
VETO vor Ort in der Türkei: So schlimm ist die Lage der Straßenhunde
Seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung spitzt sich die Lage der Straßenhunde in der Türkei immer weiter zu. Wir waren vor Ort und haben uns selbst ein Bild von der Lage gemacht, die schrecklichen Zustände in den städtischen Sheltern dokumentiert und mit Tierschützenden gesprochen.

Unser Team verschafft sich in der Türkei einen Überblick über die Lage der Straßenhunde. Foto: VETO
Im März 2025 machte sich ein VETO-Team in die Türkei auf. Wir alle hatten im Vorfeld bereits Videoaufnahmen aus der Türkei gesehen, in denen brutal gegen die Straßenhunde vorgegangen wird. Doch wir wollten uns selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen, mit Tierschützenden sprechen und die Situation der türkischen Straßenhunde festhalten.
Verleumdet und verfolgt: Straßenhunde in der Türkei im Visier der Hundefänger
In Antalya trafen wir Jeanette Guth vom Verein Tierschutz Lara Kundu e. V. und begleiteten sie bei einer Fütterungstour. Die Tierschützenden des Vereins fahren jeden Tag bekannte Spots ab, um die heimatlosen Tiere zu füttern und wenn möglich medizinisch zu versorgen. Doch gerade Letzteres wird immer schwieriger, denn die Kosten für Medikamente steigen immer weiter.

Jeanette Guth behandelt die Straßentiere beispielsweise gegen Parasiten, indem sie Medikamente in Nassfutter versteckt. Foto: VETO
Aktuell wächst jeden Tag die Angst, dass die Straßenhunde am nächsten Tag nicht mehr da sein werden. Denn auch immer mehr Tiere, welche regelmäßig von den Tierschützenden versorgt werden, verschwinden seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung vom einen auf den anderen Tag.
„Hier waren auch 15 Hunde, die sind auch alle weg. Ich vermute, dass sie umgebracht wurden.“
Jeanette Guth
Auf unserer Fütterungstour machten wir auch auf einer Müllkippe halt. Allein dort fanden wir inmitten des Bauschutts und Plastikmülls sechs Welpen. Die Tierschutzvereine vor Ort befinden sich in einem Kampf gegen Windmühlen. Viele heimatlose Tiere haben sie schon kastriert und mit Ohrmarken gekennzeichnet – auch durch Unterstützung der VETO-Community.
Doch noch immer sind viele Tiere nicht kastriert – auch da es vonseiten der Kommunen jahrzehntelang versäumt wurde, flächendeckende Kastrationen durchzuführen. Immer neue Tiere werden so in das leidvolle Leben auf der Straße hineingeboren.

Auf der Suche nach etwas Fressbarem, zieht es die heimatlosen Tiere häufig auf Müllkippen. Foto: VETO
„Das ist die Realität. Die Welpen werden auf Müllhalden groß. Leider ist es uns nicht möglich, alle aufzunehmen, weil wir die Kapazitäten nicht haben.“
Jeanette Guth
Während der Fütterungstour fanden wir auch einen Straßenhund, dessen schrecklicher Zustand uns schockierte. Der Kiefer des heimatlosen Hundes war völlig zerstört, sein Fell war mit Kot, Urin und Dreck durchzogen und verströmte einen fauligen Geruch. Er konnte sich kaum noch bewegen.
Für uns stand sofort fest: Wir müssen etwas tun, wir müssen ihm helfen!

Schwer verletzt, schutzlos, allein: Der schreckliche Zustand des Straßenhundes erschütterte uns. Foto: VETO
Wir brachten den schwer verletzten Hund zum Tierarzt. Dieser stellte fest, dass die Wirbelsäule gebrochen und dadurch der hintere Bereich des Körpers gelähmt war. Zudem wurden Organschäden vermutet.
Die schweren Verletzungen stammten vermutlich von einem Autounfall oder starken Schlägen, zum Beispiel mit einer Brechstange – laut Tierschützenden vor Ort eine verbreitete Methode der Hundefänger, um Hunde außer Gefecht zu setzen, um sie einfangen zu können.
Die Schmerzen des Hundes mussten unvorstellbar sein. Obwohl wir sofort handelten, kam leider jegliche Hilfe zu spät. Er verstarb während der Behandlung beim Tierarzt.
„Das traurige Schicksal dieses Hundes hat uns tief berührt. Es ist einfach nur schrecklich, was ihm angetan wurde und wie lange er vermutlich schon so leiden musste. Und es ist grausam zu wissen, dass sein Schicksal vermutlich aktuell kein Einzelfall ist.“
Claudia Lemke, VETO
Die Tierschützenden vor Ort berichteten uns, dass auch die Gewalt durch Privatpersonen seit der Änderung des Tierschutzgesetzes zugenommen hat. Tierschützerin Mükerrem Ergülen erzählt uns beispielsweise von einer Straßenhündin, die in einem Dorf kurzerhand erschossen wurde, weil sie ein Huhn fangen wollte, um sich und ihre Welpen durchzubringen.
Es scheint, als wirke das neue Tierschutzgesetz wie ein Freifahrtschein für Gewalt und Misshandlungen gegenüber den heimatlosen Tieren.
„Die Dorfleute töten selbst. Sie binden den Hund hinten ans Auto und ziehen ihn hinterher, bis er stirbt.“
Mükerrem Ergülen
Unermessliches Leid und Hoffnungslosigkeit in den städtischen Sheltern
Die im Juli 2024 beschlossene Gesetzesänderung verpflichtet die Kommunen, sämtliche Straßenhunde einzusammeln und in Tierheimen unterzubringen. Bereits 2022 besuchten wir eine dieser städtischen Einrichtungen und waren vom Zustand der Tiere schockiert.
Wir wollten deshalb wissen: Hat sich seitdem an der Tierschutz-Situation in den städtischen Sheltern etwas getan? Wie ergeht es den Tieren in den wenigen Einrichtungen, in die jetzt alle Straßenhunde gebracht werden sollen?
Als wir das städtische Tierheim in Antalya besuchten, war es für ein Shelter ungewöhnlich ruhig. Kaum ein Hund bellte. Stattdessen lagen viele Tiere – vor allem Welpen – apathisch auf dem kahlen Boden oder schauten ins Leere.

Es scheint, als würden die Hunde im Shelter nur verwahrt. Ihr Leid scheint niemanden zu interessieren. Foto: VETO
Gerade die Welpen konnten sich teilweise kaum mehr auf den Beinen halten. Ihr Fell war völlig verdreckt und verklebt. Tierschützende des Vereins Fellnasenhilfe Antalya waren wenige Tage nach unserem Besuch erneut im Tierheim, konnten die Welpen dort jedoch nicht mehr finden. Vermutlich waren sie in der Zwischenzeit verstorben.
Auch die erwachsenen Straßenhunde waren in einem jämmerlichen Zustand. Viele von ihnen wirkten krank oder waren bis auf die Rippen abgemagert. Eine medizinische Versorgung scheint es für die Tiere nicht zu geben.
In einem umgebauten Pickup-Truck auf dem Tierheimgelände, dessen Ladefläche mit Brettern verkleidet war, fanden wir eine weitere Hündin mit ihrem Welpen. Sie wurden vermutlich zuletzt eingefangen. Der Welpe war völlig verängstigt und versuchte, sich hinter der Hündin zu verstecken. Er wagte es nicht einmal, uns anzusehen.

Der Welpe war vermutlich von der Fangaktion völlig traumatisiert und wollte am liebsten unsichtbar sein. Foto: VETO
Gemeinsam mit Tierschutz Lara Kundu e. V. konnten wir einige Tiere sichern, die in den nächsten Tagen in das Tierheim des Vereins überführt werden sollten – darunter auch die Hündin und der Welpe aus dem Hundefänger-Fahrzeug.
Seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung retten die Tierschützenden so viele Tiere wie möglich aus den städtischen Sheltern. Denn sie wissen: Sie sind für die heimatlosen Tiere der einzige Ausweg.
Die wenigen vorhandenen kommunalen Tierheime im Land sind bereits vielerorts überfüllt. Für die vielen Straßentiere, die per Gesetz so schnell wie möglich eingefangen werden sollen, gibt es keinen Platz. In der Nähe der Stadt Konya sahen wir, wo die eingefangenen Hunde stattdessen hingebracht werden.

Eingefangen und weggesperrt: Unzählige Hunde sind auf einem eingezäunten Areal bei Konya zu finden. Foto: VETO
Auf einem riesigen Gelände wurde dort ein Auffanglager errichtet, in dem sich über tausend Hunde aufhalten sollen. Als wir am Gelände eintrafen, kamen die Tiere erwartungsvoll an den Zaun gelaufen. Viele hechelten stark – Schutz vor der Sonne gibt es auf der kahlen Fläche nicht für die Hunde.
Der Zutritt zu diesem Auffanglager wurde uns verwehrt. Aktivisten, die die Situation vor Ort bereits seit Längerem dokumentieren, berichteten uns, dass das Lager am Vortag noch viel voller war. Während wir vor Ort waren, fuhren immer wieder Transporter mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei.
„Wir haben erfahren, dass hier regelmäßig Hunde wieder abgeholt werden, angeblich für eine medizinische Versorgung. Doch diese Hunde kommen nicht mehr zurück. Man kann sich wahrscheinlich ausmalen, was mit ihnen passiert.“
André Meyer, VETO

Eine Luftaufnahme zeigt die Größe des Areals. Die Hunde sind den Witterungsbedingungen schutzlos ausgeliefert. Foto: HADOKO Stiftung Istanbul
Auch bei dem Versuch, ein zweites städtisches Shelter zu besuchen, wurden wir bereits am Tor abgewiesen. Das Gelände wirkte wie eine Baustelle, doch es wurden dort bereits Tiere untergebracht. Es stellte sich heraus, dass die Unterbringung der Tiere illegal war, da das Tierheim noch keine Genehmigung für die Tierhaltung besaß. Die Aktivisten vor Ort erstatteten daher Anzeige.
Hetzjagd und Massentötungen: Das berichten Aktivisten in der Türkei
In Konya spitzt sich die Lage der Straßenhunde nach einem tragischen Vorfall besonders zu. Ein zweijähriges Mädchen soll angeblich von Straßenhunden angegriffen und zu Tode gebissen worden sein. Auch wenn der Vorfall nicht aufgeklärt wurde, sprechen die Tierschützenden vor Ort von einer regelrechten Hetzjagd auf die Straßentiere. Bei unserem Besuch in der Stadt ist kaum mehr ein Hund auf den Straßen zu sehen.
Tierschutzaktivisten halten das Vorgehen gegen die Straßenhunde seit Längerem fest und zeichnen ein erschreckendes Bild. Sie berichteten uns von Hunden, die lebendig begraben werden sowie Massentötungen und übergaben uns Filmaufnahmen.

Auf dem Videomaterial der Aktivisten wird das grausame Vorgehen gegen die Straßenhunde sichtbar. Foto: HADOKO Stiftung Istanbul
„Was wir gesehen haben, lässt uns nicht los. Auch die Aufnahmen von Aktivisten zeigen das wahre Gesicht eines staatlich organisierten Massakers – und es muss gestoppt werden.“
Claudia Lemke, VETO
Tierschützende am Limit: Sie sind für die Straßenhunde die einzige Hoffnung
Tierschützende wie Jeanette Guth von Tierschutz Lara Kundu e. V. versuchen, so viele Straßenhunde wie möglich vor diesem Schicksal zu bewahren und im Tierheim des Vereins unterzubringen. Doch die Not reißt nicht ab und die Vereine sind an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt. Tierschutz Lara Kundu e. V. plant deshalb den Bau weiterer Zwinger sowie eines großen Außenbereichs, sobald ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
Der Verein kümmert sich zudem aktiv um die Vermittlung der Tiere. Die Tierschützenden in der Türkei berichten uns jedoch, dass es immer schwerer wird, Tiere im In- und Ausland zu vermitteln, da dies systematisch von der Regierung erschwert werde.

VETO vor Ort im Tierheim des Vereins Tierschutz Lara Kundu. Die Tierschützenden sind seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung absolut am Limit. Foto: VETO
Bis die Tiere jedoch überhaupt für eine Vermittlung infrage kommen, müssen sie meist intensiv medizinisch behandelt werden und sich von ihren Erlebnissen erholen. Denn die Tiere, die die Tierschützerinnen und Tierschützer von den städtischen Tierheimen übernehmen, sind meist in einem jämmerlichen Zustand.
Bei einem Besuch im Tierheim von Tierschutz Lara Kundu e. V. zeigt uns Jeanette Guth etwa eine Hündin, die vermutlich an Krätze erkrankt war und um ihr Leben kämpfte, als die Tierschützerin sie übernahm. Die Hündin hatte bereits große Teile ihres Fells verloren und wollte zunächst auch gar nicht mehr fressen. Doch nach und nach fasste sie Vertrauen und erholt sich seither im Tierheim. Hier ist sie in Sicherheit und versorgt.
Auch ein privates Tierheim, das vom Verein Fellnasenhilfe Antalya unterstützt wird, platzt seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung aus allen Nähten. „Wir haben angefangen mit 18 Hunden, dann wurden es 31, dann 50, 100, 150, 300. Bis 300 hat man es geschafft mit zwei Angestellten, aber jetzt sind es circa 600 Hunde und 300 Katzen“, schildert Tierheimbetreiberin Mükerrem Ergülen.
Um all die Tiere zu versorgen, sind Mükerrem und ihr Mann mittlerweile auf die Unterstützung von drei Angestellten angewiesen. Die große Menge an benötigtem Futter, die medizinische Versorgung und die Lohnkosten stellen die Tierschützenden jedoch vor enorme Herausforderungen. Und täglich erreichen sie weitere Hilfeschreie.
„Wir bekommen immer wieder neue Hunde dazu, weil die Leute Angst und Panik haben, dass man ihre eigenen Hunde, also Hunde, die sie vielleicht im Garten oder auf der Straße füttern, auch einsammelt und einschläfert.“
Mükerrem Ergülen
In Mükerrrems Tierheim haben auch unzählige Welpen Zuflucht gefunden. „In den letzten zehn Tage haben wir zum Beispiel über 20 Welpen bekommen. Fünf Geschwister ohne Mama haben wir nachts hier gleich um die Ecke gefunden, als es richtig kalt war“, berichtet uns Mükerrem. Bei den Minusgraden hätten die Welpen die Nacht vermutlich nicht überlebt. Mükerrem päppelte die Welpen auf und versorgte sie intensiv. Bei unserem Besuch tobten sie bereits munter durch ihr Gehege.

Ohne die Hilfe von Mükerrem Ergülen wären die Welpen vermutlich nicht mehr am Leben. Foto: VETO
Die Tierschützenden in der Türkei geben tagtäglich alles, um so viele Straßenhunde wie möglich zu retten und zu versorgen, doch sie benötigen dringend Unterstützung – allein können sie es unmöglich schaffen.
Mit unserer Kampagne Stoppt das Massaker sammeln wir gezielt Spenden, um den Tierschützenden in dieser dramatischen Situation zu helfen. Mit Futter sowie finanzieller Hilfe für die medizinische Versorgung der heimatlosen Tiere sowie Baumaßnahmen, um noch mehr Tieren ein sicheres Zuhause zu bieten.
Hilf jetzt mit – jeder Beitrag rettet Leben!