Magazin · Tierschutz aktiv · 30. November 2022 · 5 Min. Lesezeit
Eine Chance für rumänische Straßenhunde: VETO zu Gast im Tierheim Arche Făget
Wie ist es eigentlich, wenn Tierschützer:innen aus Deutschland ein eigenes Tierheim in einer rumänischen Kleinstadt bauen? Susanne Lekien und Hans-Werner Gantner berichten uns im Interview von ihrem Tierschutzprojekt in Făget und ihrem großen Wunsch, das Leid der Straßenhunde in Rumänien zu beenden.
Hans-Werner Gantner und Susanne Lekien berichten im Interview mit VETO von ihrem Tierheim in Rumänien. Foto: VETO
Freilebende Hunde sehen wir vom VETO-Team auf unserer Reise durch Rumänien an jeder Ecke. In kleinen Rudeln ziehen sie in der Gegend umher auf der ständigen Suche nach Futter und sicheren Unterschlüpfen. Längst ist die Population der Straßenhunde zum Problem in vielen Städten und Dörfern des Landes geworden. Tierschutzvereine nehmen sich der schutzlosen Vierbeiner an, doch immer noch gibt es Orte in Rumänien, an denen die Hunde sich selbst überlassen sind.
Der erste Vorsitzende des deutschen Tierschutzvereins Strassenhunde Rumänien in Not e. V. Hans-Werner Gantner und Vereinsmitglied Susanne Lekien haben mit ihrem Team einen solchen Ort gewählt, um ein Tierheim zu errichten, in dem Straßenhunde sicher versorgt und untergebracht werden. Sooft es ihre Zeit erlaubt, reisen die beiden von Bayern nach Rumänien, um vor Ort nach dem Rechten zu sehen. Wir von VETO besuchen das Tierheim Arche Făget und lassen uns von Susanne und Hans-Werner herumführen.
Hans-Werner, wie bist du auf die Idee gekommen, dich im Tierschutz zu engagieren und warum in Rumänien?
Die Liebe zu den Hunden ist schon immer da. Privat habe ich schon seit 40 Jahren Hunde und bin ganz zufällig im Internet auf die Not der Hunde in Rumänien aufmerksam geworden. Zuerst habe ich in Sighișoara in einem Tierheim geholfen und irgendwann haben wir gemeinsam beschlossen: Wir wollen ein eigenes Tierheim gründen. So sind wir nach Făget gekommen, denn in Făget und weit drumherum gab es weit und breit kein Tierheim.
Seit 2021 gibt es euer Tierheim jetzt. Erzähl uns doch mal, wie der Weg zum eigenen Tierheim für dich war.
Seit Mai 2021 ist das Tierheim eröffnet. Vorher war hier einfach ein Feld. Hier war nichts! Ein einziger Arbeiter namens Tica hat dann angefangen, ein Loch zu graben und die Zäune zu setzen. Anschließend wurden die ersten Zwinger gebaut. Im Oktober waren zehn Zwinger fertig und immer weiter wurde ergänzt. Heute haben wir hier 22 Zwinger.
Rundgang durchs Tierheim: Wo früher nur Felder waren, stehen heute großzügige Zwinger. Foto: VETO
Susanne, warum gibt es in Rumänien eigentlich so viele Straßenhunde?
Ein großes Problem ist, dass viele Menschen in Rumänien die Tiere nicht kastrieren lassen wollen. Viele denken, ein kastrierter Rüde macht seinen Job als Wachhund nicht mehr richtig. Bei Hündinnen wird angenommen, dass eine Kastration ihnen die Lebensfreude nähme.
Das sind natürlich nur falsche Annahmen und Vorurteile, stimmt´s?
Ganz genau! So etwas habe ich hier schon häufig gehört und erlebt. Ein anderes Beispiel: Vor ein paar Tagen war ich in Sighișoara bei einer befreundeten Tierschützerin. Sie erzählte mir, warum so viele Hunde in Rumänien kupierte Schwänze haben. Grund ist, damit die Hunde nicht von Bären gefangen werden.
Das Thema Kastration ist bei eurer Tierschutzarbeit sehr wichtig. Heute steht vor dem Tor des Tierheims das Kastrationsmobil. Wie häufig gibt es hier Kastrationsaktionen?
Im Monat wird zwei- bis dreimal kastriert. Das Kastrationsmobil ist seit fast eineinviertel Jahren in Betrieb und es spricht sich immer weiter in der Bevölkerung herum, dass hier kostenlos Tiere kastriert werden. Die Leute bringen ihre Hunde und Katzen hierhin, sehen, dass es ihnen gutgeht und erzählen es weiter.
Gerade habe ich mich auch schon mit einer Frau unterhalten, die regelmäßig Katzen aus der Nachbarschaft zum Kastrationsmobil bringt. Ihr scheint also inzwischen einen richtig guten Ruf in der Gegend zu haben. Wie haben die Menschen denn am Anfang auf euer Angebot reagiert, Hans-Werner?
Die Menschen waren mehr als skeptisch. Eine unserer ersten Kastrationsaktionen fand etwa zehn Kilometer von Făget entfernt statt. Die Aktion war groß angekündigt, doch nur drei Katzen und vier Hunde wurden an diesem Tag kastriert. Eine absolute Flaute. Das musste erst wachsen.
Die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung wird immer größer. Inzwischen werden hier 20 bis 30 Hunde und einige Katzen pro Tag kastriert. Unser Rekord ist, glaube ich, 72 Hunde an einem Wochenende. Unsere Tierärztin Maria Magyar legt hier eine riesige Leistung hin.
Kastrationen sind das einzige Mittel, um die Vermehrung der Straßentiere einzudämmen. Tötungsstationen bewirken nichts! Wir haben Glück, dass der Bürgermeister der Stadt offene Ohren für uns hat. Er ist kein Hundehasser und unterstützt unsere Kastrationsaktionen.
Maria Magyar berichtet Madita Haustein von ihrer Arbeit im Kastrationsmobil. Die rumänische Tierärztin setzt sich seit Jahren mit ganzer Kraft für schutzlose Hunde und Katzen ein. Foto: VETO
Mir fallen hier bei euch im Tierheim die Welpencontainer auf. Warum ist es so wichtig, dass Welpen ihren eigenen, gesicherten Bereich haben?
Welpen sind naturgemäß sehr anfällig für Krankheiten und sind auch Krankheitsüberträger, deshalb muss man sie erst einmal separieren. Die Hunde werden bei uns zweimal geimpft, dann warten wir noch zwei Wochen und dann sollten die Kleinen immun sein. Dann dürfen sie aus den Containern ausziehen und Kontakt zu den anderen Hunden haben.
Tierschutz in Rumänien ist eine große Herausforderung. Was bereitet euch am meisten Sorge?
Wasser! Bis zum Frühjahr hatten wir ein riesiges Problem mit dem Wasser. Wir hatten Brunnen installiert. Auch das war nicht einfach, denn eine zuverlässige Firma hier zu finden, war nicht leicht. Als die Brunnen dann fertig waren und wir das erste Wasser gezogen hatten, stellten wir fest, dass sich nach kurzer Zeit eine Art Schlacke auf dem Wasser absetzte. Wir beschlossen: Dieses Wasser können wir unseren Hunden nicht zu trinken geben.
Wir brauchten ein eigenes Wasserversorgungssystem, was sehr kompliziert war. Behörden mussten ihr Okay geben und wieder mussten wir eine geeignete Firma finden. Es hat lange gedauert, aber heute haben wir einen Ringwasseranschluss und in jedem Zwinger einen Wasseranschluss.
Vorher hat Adriana, unsere Mitarbeiterin hier im Tierheim, jeden Tag 20 Liter Wasser in Kanistern von zu Hause mitgebracht. Unser Wasserproblem ist gelöst – zumindest, bis der Winter kommt.
Der Winter in Rumänien kann richtig kalt werden. Welche speziellen Herausforderungen gibt es in dieser Jahreszeit?
Wenn das Wasser gefriert, können wir es unseren Hunden nicht geben. Das ist ein großes Problem. Wir wollen versuchen, ein Kabel um unsere Wasserleitung zu verlegen, damit sie nicht einfriert. Wenn das nicht funktioniert, müssen wir die Leitung vorne öffnen und das Wasser von dort aus in die Zwinger tragen.
Ich möchte auch noch erwähnen, wie anstrengend die Arbeit im Tierheim im Winter ist. Unsere Mitarbeiterin Adriana beginnt hier morgens um acht und macht abends um acht Feierabend – auch bei Kälte, Regen und Sturm. Inzwischen steht hier ein Wohnwagen, in dem sie mal einen Kaffee trinken und sich aufwärmen kann. Doch die meiste Zeit ist sie im Freien.
Tierschutz in Rumänien als Lebensaufgabe: Adriana versorgt liebevoll alle Hunde im Tierheim Arche Făget. Foto: VETO
Wie sieht es mit dem Futterbedarf im Winter aus, Hans-Werner? Fressen eure Hunde im Winter mehr?
Unsere Hunde werden generell ausreichend gefüttert, damit sie kräftig bleiben. Trotzdem ist der Bedarf im Winter etwas höher. Ich schätze, etwa 20 Prozent mehr. Momentan brauchen wir etwa hundert Kilo Futter am Tag für 40 erwachsene Hunde und 35 Welpen.
Zusätzlich versorgen wir aber auch private Helfer. Tica, der Mann, der uns beim Bau des Tierheim geholfen hat, hat 30 Hunde bei sich aufgenommen. Hauptsächlich Welpen. Eine andere Tierschützerin namens Lia hat zu Hause auch Hunde aufgenommen, die wir füttern. Und dann gibt es noch einen Bauern, der ebenfalls Futter für seine Hunde erhält. Insgesamt versorgt unser Verein somit 150 bis 180 Hunde.
Woher kommen all diese Hunde?
Viele Hunde hatten mal ein Zuhause und werden dann aber bei uns abgegeben, andere sind ehemalige Straßentiere. Hier am Tor haben sich schon dramatische Szenen abgespielt. Einmal kam ein Mann, der einen Hund dabei hatte und ein Gewehr. Er sagte: „Wenn ihr den Hund nicht nehmt, erschieße ich ihn.“ Andere drohen damit, Hunde auszusetzen, wenn wir sie nicht aufnehmen.
Bei Straßentieren kommt es auch vor, dass sie angefahren werden und irgendwo verletzt auf der Straße liegen. Niemand hilft – nicht die Polizei, nicht der Bürgermeister. Unsere Leute fahren dann zum Unfallort und sammeln den Hund auf. Hier landet er dann in Zwinger Nummer eins und wir päppeln ihn auf, fahren in die Klinik und bezahlen alles.
Ein Hund wurde einmal von einem Zug erfasst. Wir haben ihn neben den Gleisen aufgelesen und versorgt. Er hat es geschafft und lebt heute in Deutschland. In solchen Fällen gehen wir jedes Mal an unsere Grenzen oder sogar darüber hinaus.
Für mich klingt das nach einer großen emotionalen, aber auch finanziellen Belastung. Was sind die größten Kostenfaktoren in eurem Tierheim?
Medizinische Versorgung und generell die Versorgung der Hunde steht an erster Stelle. Danach schauen wir, ob Geld in Baumaßnahmen gesteckt werden kann. Unser Tierheim ist zu 80 Prozent fertig. Es fehlt noch eine richtige Stromversorgung, gerne eine alternative Stromversorgung. Hier siehst du gerade überall Sandhaufen, weil wir Sand in den Zwingern als Untergrund verteilen wollen.
Bevor es viel regnet, muss auch ein Abflusssystem fertiggestellt werden, weil sich sonst Staunässe sammelt. Es gibt also immer was zu tun.
Vielen Dank für das Gespräch, Susanne und Hans-Werner!
Die Vierbeiner im Tierheim finden das Interview tierisch interessant. Paul, der schwarze Hund im Hintergrund, wurde erst wenige Stunden vor unserem Besuch am Tor der Arche Făget abgegeben. Foto: VETO