Magazin · Tierschutz aktiv · 9. März 2022 · 5 Min. Lesezeit
Listenhunde: Von Geburt an missverstanden?
In der Gesellschaft ist das Bild des aggressiven, angriffslustigen Kampfhundes fest verankert. Ist die Angst berechtigt oder werden diese Hunde missverstanden? Wir haben mit Expertin Roswitha Murrweiss vom Tierschutzverein Listenhunde-Nothilfe e. V. gesprochen.
Viele Menschen wechseln verängstigt die Straßenseite, wenn ihnen eine als gefährlich eingestufte Hunderasse entgegenkommt. Zu Recht? Foto: Shutterstock
Es war ein Vorfall im Juni 2000, der ganz Deutschland erschütterte: Zwei Pitbull-Mischlinge sprangen über die Mauer eines Schulgeländes. Auf dem Schulhof fielen sie über einen Jungen her, der mit einem Ball spielte. Immer wieder bissen die Hunde Volkan ins Gesicht, bis der Sechsjährige tot war.
Das Paar, dem die Hunde gehörten, war vorbestraft. Die Gefährlichkeit der Tiere den Behörden bekannt. Dieses schreckliche Ereignis entfachte eine Diskussion, die das Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde hervorbrachte und zur Einführung der Rasseliste führte.
Rasseliste als Lösung?
Die Rasseliste ist eine Auflistung aller Hundearten, die rassebedingt als gefährlich angesehen werden oder deren Gefährlichkeit vermutet wird. Damit einher gehen teils strenge Auflagen, die Hundehalter:innen erfüllen müssen. Mögliche Auflagen können sein: die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses des:der Halter:in sowie die Vollendung des 18. Lebensjahres.
Aber auch eine Maulkorb- und Leinenpflicht sowie die Zwangs-Kastration oder -Sterilisation des Hundes. Welche Rasse gelistet wird und welche Auflagen in dem Zusammenhang genau bestehen, entscheidet jedes deutsche Bundesland selbst. Mit der bestehenden Hundeverordnung und der dazugehörigen Rasseliste seien gefährliche Hunde aus Sicht der Behörden besser kontrollierbar und die Sicherheit der Bevölkerung vor Hundeangriffen durch Rassen wie American Pitull Terrier, American Staffordshire Terrier oder Bullterrier erhöht.
Mögliche Auflagen, die Halter:innen eines Listenhundes erfüllen müssen, können eine Maulkorb- und Leinenpflicht sein. Foto: Shutterstock
Vorverurteilt aufgrund der Rasse
Viele Hundebesitzer:innen und Expert:innen, wie Hundetrainer:innen, Tierärzt:innen und Wissenschaftler:innen, halten die Rasseliste für nicht aussagekräftig. „Durch die Liste werden bestimmte Rassen diskriminiert und per se als gefährlich abgestempelt. Das ist nicht richtig. Die Gefährlichkeit eines Hundes muss im Einzelfall beurteilt werden“, sagt Roswitha Murrweiss, 1. Vorsitzende vom Verein Listenhunde-Nothilfe e. V. „Zudem gibt es keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass Aggression angeboren ist.“
Vielmehr können falsche Erziehung und fehlende Sachkunde auf Seiten der Hundehalter:innen zum aggressiven Verhalten des Hundes führen. Oder eben der Missbrauch der Tiere als Statussymbol, wie der Fall Volkan zeigt. Die Hunde seien von ihrem Besitzer trainiert und regelrecht scharf gemacht worden – auf dem Schulgelände, wo sich schließlich auch die Tragödie ereignete.
Tierschützerin Roswitha Murrweiss meint: „Viele Listenhunde werden angeschafft, ohne sich ausreichend über die Rasse zu informieren. Die Halter sind mit den Tieren überfordert, erziehen sie fehlerhaft oder halten sie nicht artgerecht. Oft landen die Vierbeiner dann ganz schnell im Tierheim, freiwillig oder auf Anordnung der Behörden.“
In den vergangenen zwei Jahren habe sich die Situation als Folge der Corona-Pandemie und illegalem Welpenhandel laut der Expertin weiter verschärft. Die Menschen verbrachten mehr Zeit zuhause, sehnten sich nach Gesellschaft, holten in dieser Gemütslage teilweise unbedacht ein Haustier zu sich, was über das Internet unkompliziert möglich ist, und mussten dann erkennen, dass sie den Anforderungen auf Dauer möglicherweise doch nicht gewachsen sind.
Tierheim = lebenslänglich
Nicht nur Beschlagnahmungen von Tieren oder die Aufnahme von Fundtieren füllt die Tierheime mit Listenhunden. Auch die Einführung der Hundeverordnung im Jahr 2000 hatte massive Folgen. Vielen Hundehalter:innen war es nicht mehr möglich, ihren Listenhund zu halten. Das lag zum einen an den hohen Auflagen, aber auch an der finanziellen Belastung.
Für einen Listenhund zahlt man in Deutschland zwischen 600 und 1.000 Euro Hundesteuer im Jahr. Im Vergleich: Für einen nicht gelisteten Hund gerade mal durchschnittlich 100 Euro. Die überdurchschnittlich hohen Kosten sowie ihr Ruf und die Haltungsauflagen machen die Vermittlung von Listenhunden schwierig. Für viele Listenhunde entspricht die Abgabe im Tierheim dem Urteil: lebenslänglich. „Traurig, denn die meisten dieser Hunde sind dem Menschen absolut zugetan“, so Murrweiss.
Der Schlüssel zu einem ausgeglichenen Hund, egal welcher Rasse? Sachkundige Halter:innen, die die Bedürfnisse ihrer Tiere kennen und erfüllen. Foto: Shutterstock
Problem am anderen Ende der Leine
Anstatt bestimmte Rassen also pauschal zu verteufeln, sollten Menschen laut Expert:innen vielmehr den richtigen Umgang mit ihrem Tier lernen. Der Mensch kann das Verhalten des Tieres beeinflussen, sowohl positiv als auch negativ. Alle Tierbesitzer:innen müssen die Eigenschaften ihrer Rassen kennen und berücksichtigen, ob Listenhund, Dackel oder Labrador.
Rassen wie der American Staffordshire oder Pitbull beispielsweise haben aufgrund ihres Körperbaus viel Kraft und wollen gefordert werden. Am Ende sind es die unverantwortlichen Halter:innen, die diese Rassen missbrauchen und zum verhängnisvollen Ruf der Listenhunde führen.
Ausreichend Sachkunde – schon vor der Anschaffung eines Tieres – sowie die Stärkung der Mensch-Hund-Beziehung sind unerlässlich, um Beißvorfälle zu verhindern. Ein sogenannter Hundeführerschein für Halter:innen jeder Hunderasse könnte dafür eine Lösung sein.
Die Bundesländer Niedersachsen, Schleswig Holstein und Thüringen erkennen bereits an, dass die Gefährlichkeit eines Hundes nicht von der Rasse abhängt: Sie schafften die Rasseliste ab.